Samen für die Zukunft
Zum Vortrag von Dr. Hannelore Schnell
am 24.01.2024 fand im Rahmen des Biodiversitätsprojekts am Ackermannbogen der Vortrag „Samen für die Zukunft“ der Molekularbiologin Dr. Hannelore Schnell statt.
Hannelore hatte zuvor die Züchtungs-Experten der Kulturpflanzenentwicklung Obergrashof e.V. bei Dachau besucht, um zu erfahren wie Bio-Sorten, die zur ökologischen Landwirtschaft passen, gezüchtet werden und wie die Kulturpflanzenvielfalt gefördert werden kann.
Die Präsentation Teil 1 und Teil 2 sind auf der Website des Ackermannbogen e.V. zu finden.
Von der Wildpflanze zur Kulturpflanze
Im ersten Teil ihres Vortrags beschrieb Hannelore die Geschichte der systematischen Kulturpflanzenentwicklung. Sie begann vor ca. 12.000 Jahren als die klimatischen Bedingungen so günstig und stabil waren, dass die Menschen anfingen, sesshaft zu werden. Sie nahmen Pflanzen in Kultur, wählten die Besten aus und vermehrten sie.
Die Menschen hatten noch einen sehr engen und sensiblen Bezug zu den Pflanzensorten, kannten ihre Eigenschaften genau und waren oft auch in einem spirituellen Sinn innig mit den Wesenheiten der Pflanzen verwoben. Die Arbeit der Auslese (Selektionszüchtung nennen wir das heute) lag in der Hand der Bauern, die auch für den Anbau der Lebensmittel zuständig waren. Anbau und Züchtung waren also eng miteinander verwoben. Das Saatgut gehörte allen – es war Gemeingut.
Vom Gemeingut zur Ware
Ab 1900 professionalisierte sich die Pflanzenzucht, es entstanden spezialisierte Betriebe für Pflanzenzüchtung und ein weltweiter Samenhandel setzte ein.
Was war passiert? Mit den Forschungserfolgen von Gregor Mendel 1866 löste die Kreuzungszüchtung allmählich die bäuerliche Selektionszüchtung ab. Der bäuerliche Betrieb war als Forschungs- und Produktionsstandort nicht mehr geeignet. Vielmehr widmeten sich Universitäten und spezialisierte Züchtungsbetriebe dem lukrativen neuen Geschäftszweig. Die Bauern sollten mit Saatgutverordnungen zu einem Wechsel von selbst gewonnenem zu gekauftem Saatgut genötigt werden. Die beeindruckende Sortenvielfalt wurde als „Sortenwirrwarr“ bezeichnet, der bereinigt werden musste. In Deutschland führte der politische Ungeist der Zeit 1934 zu einem Bann „aller für die Landeskultur wertlosen Sorten“ und es überlebten vor allem die weltweit handelbaren „Hochzuchtsorten“ . Die Auswahl ging in Folge extrem zurück. Zum Beispiel gab es von den damals 212 kommerziell gehandelten Sorten von Salat nach 1938 nur noch 30, von 577 Kartoffelsorten blieben nur noch 64 im Handel.
Von der Ware zur Profitmaximierung
Ab 1920 gelangen den kommerzialisierten Saatgutunternehmen mit der Hybridzüchtung nie dagewesene Erfolge. Auf deren Grundlage hat sich zusammen mit der chemischen Industrie der heutige, extrem konzentrierte globale Agrarmarkt entwickelt. Die sowohl vertikale, als auch horizontale Konzentration der führenden Agrochemiekonzerne, die meist Saatgut – Düngemittel- und „Pflanzenschutzmittel“-Produktion, Forschung und Handel unter einem Dach vereinen, führt zu einer fast vollkommenen Marktdurchdringung und damit zu einer gefährlichen Machtfülle in Hinblick auf die globale Ernährung. Die Bauern sollen abhängig von den Erzeugnissen der Agrochemiekonzerne gemacht werden und der freie Austausch unseres gemeinsamen Kulturerbes Saatgut soll unterbunden werden.
Samenfeste- und Hybridsorten im Vergleich
Wir Gärtner*innen kennen alle das Phänomen, dass wir mit dem Kauf von sog. F1-Hybriden, sowohl bei Saatgut, als auch bei Jungpflanzen, sehr schöne, große und einheitliche Früchte und Gemüse ernten können, dass aber der eigene Nachbau dieser Prachtexemplare frustrierend ist. Im 2. Jahr sind die Ergebnisse unserer Bemühungen krumm und schief, kleiner und haben manchmal sogar andere Farben.
Um das zu verstehen, schauen wir uns einmal genauer an, wie die Hybridzüchtung funktioniert: Die Elternpflanzen, die für eine gezielte Züchtung notwendig sind, müssen erst „hergestellt“ werden, denn sie müssen in sich selbst einheitlich sein. Diese in der Natur kaum vorkommende Reinerbigkeit wird durch den Prozess der „Selbstung“ erzeugt. Nehmen wir als Beispiel die Karotten. Sie sind eigentlich Fremdbestäuber. Das heißt: Der Pollen kommt von einer anderen Karottenpflanze. Durch erzwungene Bestäubung mit sich selbst werden Innzuchtlinien erzeugt. Die Blüte einer Pflanze wird also künstlich mit ihren eigenen Pollen bestäubt, und das oft mehrere Generationen hintereinander. Nur so kann bei den Elternpflanzen Reinerbigkeit erreicht werden.
Die weitere Voraussetzung für eine gelingende Hybridzucht: Die Eltern müssen sehr verschieden voneinander sein. Kreuzt man nun diese reinerbigen und sehr verschiedenen Eltern miteinander, so sind deren Kinder, also die erste Generation (F1-Hybrid), besonders groß und im Aussehen sehr einheitlich. So vereinen sie alle vom Handel und der Kundschaft gewünschten Merkmale. Zudem profitieren die Gärtnerinnen und Landwirte von dem einheitlichen Reifezeitpunkt, was die Arbeit erleichtert. Unterm Strich kann so mit weniger Aufwand mehr Gewinn erwirtschaftet werden.
Das F1-Hybrid-Saatgut, das die Gärtner*innen kaufen, stammt aus der Kreuzung der beiden durch Selbstung erzeugten Elternlinien. Nur mit ihm haben die Gärtner*innen den beschriebenen Erfolg. Die Elternlinien sind jedoch Eigentum der Züchtungsfirma. Die Gärtner*innen können darauf nicht zugreifen, um selbst F1-Hybrid-Saatgut zu gewinnen oder weiter zu züchten. Versuchen sie jedoch mit den F1-Hybrid-Karotten Saatgut zu erzeugen, bleiben ihnen die Vorzüge versagt: Die Ernte fällt geringer aus und ihr fehlt die Einheitlichkeit in Form und Erntezeitpunkt. Den Gärtner*innen bleibt deshalb nichts anderes übrig als Saatgut von den Züchtungsfirmen zu kaufen, die die Preise und das Sortenangebot diktieren. Denn wer die Saat hat, hat das Sagen!
Die Hybridzucht hat in den letzten Jahrzehnten mit der Fixierung auf einheitliches Aussehen und Erleichterung bei der Ernte so stark den Markt geprägt, dass selbst große Bio-Gärtnereien zum wirtschaftlichen Überleben auf F1-Hybrid-Saatgut zurückgreifen müssen.
Für Hobbygärtner*innen, die keinem ökonomischen Druck unterliegen, sind dagegen nach Hannelores Meinung, Hybridsorten „völliger Unsinn“.
Die Hybridzüchtung orientiert sich bei ihren Zielvorgaben an der industriellen Landwirtschaft und berücksichtigt nicht die Anforderungen des ökologischen Anbaus, der ohne Pestizide und Kunstdünger auskommen muss. Die ökologische Pflanzenzüchtung gewährt dagegen mit den samenfesten Sorten einen freien und ungehinderten Austausch von Züchtungsmaterial und stellt somit auch ein wichtiges Gegengewicht zur Monopolisierung des Saatgutbereichs dar.
Biosaatgut ist nicht gleich Biosorte
Eine biologisch gezüchtete Sorte wächst über lange Zeit auf ökologisch bewirtschafteten Böden ohne Einsatz von Chemie und mineralischen Düngern. So lernt sie, mit organisch gedüngten Böden gut zurecht zu kommen, ein stärkeres Wurzelwachstum auszubilden, ohne Hilfe von Unkrautvernichtungsmitteln heranzuwachsen und Schädlingen zu trotzen. Mit diesen Eigenschaften ist sie auch ideal für unsere urbanen Gärten. Deshalb sollten wir beim Kauf von Saatgut darauf achten, dass es aus ökologischen Züchtungsbetrieben stammt. Denn es reicht nicht, wenn auf dem Saatgut-Tütchen „Bio“ steht. „Bio“ darf sich auch Saatgut nennen, wenn die Pflanze, die das Saatgut liefert nur für eine Generation ökologisch angebaut wurde. Und noch mehr: Diese Pflanze kann unter konventionellen Bedingungen gezüchtet worden sein und somit in ihrer Biografie keine Anpassung an die Erfordernisse des Öko-Anbaus ausgebildet haben. Deshalb Augen auf beim Saatgut-Kauf!
Eine Handlungsalternative, die leicht fällt und viel bewirkt
Wir urbanen Gärtner*innen können mit unseren Kaufentscheidungen bei Saatgut und auch bei Jungpflanzen dazu beitragen, dass das wertvollste Kulturgut der Menschheit – unser Saatgut, die unglaubliche Arten- und Sortenvielfalt unserer Nahrungspflanzen erhalten bleibt und sich weiter mit uns zusammen entwickeln kann.
Mit dem Kauf von samenfesten Biosorten aus biologisch-dynamischen oder biologisch-organischen Anbau unterstützen wir diejenigen Betriebe und Organisationen (siehe Liste), die sich dem Erhalt und der Weiterentwicklung des Menschheitserbes Kultursaatgut verschrieben haben, und die das Fortbestehen eines freien, ungehinderten Austausches gewährleisten. Denn nur diese samenfesten Biosorten können wir urbanen Gärtner*innen mit unseren biologischen Methoden dauerhaft erfolgreich anbauen, selbst weitervermehren und untereinander tauschen. So werden die urbanen Gärten als weltweite Bewegung durch ihre Saatgut- und Jungpflanzentauschbörsen zu einem Hort des Lebens, des Erhalts der gesunden Ernährungsvielfalt und auch zu einem politischen Ort, den die konzentrierte Macht der internationalen Agrochemiekonzerne nicht erreicht.
Text: Ruth Mahla; Bild: Ruth Mahla; Grafik: Kulturpflanzenentwicklung Obergrashof