Bericht von Thorsten Philipp und Robert Jende
Am 14. Juli 2025 machen sich zwölf Neugierige aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Gärten auf, die Stadtteile Milbertshofen und Schwabing West als Freiluftseminarraum zu erkunden. Der Urban Garden Walk, organisiert und durchgeführt von Ruth Mahla, die das Netzwerk Urbane Gärten München koordiniert, ist Teil der Reihe „Die Stadt als Labor“, die TU Berlin und anstiftung für die AG Transdisziplinäre Didaktik der Gesellschaft für Transdisziplinäre und Partizipative Forschung gemeinsam kuratieren. Ihr zentrales Anliegen: Universitäten dazu einzuladen, Do-it-yourself-Kulturen als Orte transdisziplinärer Wissensproduktion und als Erprobungsräume für eine sozial-ökologische Transformation zu erschließen und in akademischer Lehre zu verankern
Versuch und Irrtum
Erste Station: Ritzengarten
Angelika Mocciaro empfängt die Gruppe im schmalen Hinterhof des Kulturhauses Milbertshofen. „Ich bedanke mich für das Interesse, das Sie diesem Verhau entgegenbringen“, sagt sie lächelnd und zeigt auf einheimische Wildpflanzen, wie Steinnelke, Natternkopf, Wegwarte und Johanniskraut, die zwischen Asphaltfugen sprießen. Hier verbindet sich Retentionsfläche für Starkregen mit einem lebenden Lehrbuch zu Hitzeresilienz. „Ich arbeite nach Versuch und Irrtum“, ergänzt Mocciaro und macht deutlich, dass Stadtökologie ein permanentes Aushandeln zwischen Boden und Nutzungsinteressen der Nachbarschaft ist. Der Ritzengarten versucht Verständnis für die Schönheit von „Unkraut“ zu schaffen und blühende Kräuter und wilde Pflanzen als Alternativen zu aufgeräumten Vor- und Steingärten zu bewerben. Scheinbar chaotische Beete illustrieren, dass experimentelles Handeln nicht scheitert, wenn etwas misslingt – Scheitern liefert vielmehr Wissen über klimatisch immer stärker bedrängte Bodenflächen und oft übersehene kleinste Naturbrachen.
Nachbarschaft und Lernraum

Zweite Station: Generationengarten am Petuelpark.
Ein kurzer Fußweg führt zum Generationengarten, der auf symbolisch verpachteten Parzellen seit zwanzig Jahren Nachbar*innen unterschiedlicher Herkunft zusammenbringt. Milbertshofen gilt mit einer Migrationsquote von 67 Prozent als sozial divers, zugleich von Armut betroffen. Die Mitglieder des Gartens berichten von alltäglichen Erfolgen – und vom gelegentlichen Dissens um Schneckenbekämpfung und andere Fragen des Anbaus. Gärtnerische Praxis wird hier zur Schule für partizipative Stadtteilgestaltung. Veranstaltungen werden von den Nachbarinnen hauptsächlich selbst organisiert. Sie werden hier nicht bespielt, sondern treffen sich, um selbst zu spielen. So wurden wir auch Zeuge einer Gruppe, die an der Tischharfe ein Lied für uns spielte.
Baugrube, Biergarten und Biodiversitätslabor

Dritte Station: Kosmos unter Null
Den Gemeinschaftsgarten in einer zwei Jahre befristeten Zwischennutzung einer Baugrube im Bayernpark hat Florian Schönhofer, der auch das Café Kosmos am Hauptbahnhof in München betreibt, initiiert. Die Nachbarschaft ist eingeladen, rund um den tiefergelegten Biergarten Gemüse und andere Pflanzen in Hochbeeten anzubauen. Julia Gamberini von den BioDivHubs und David Schoo, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Urbane Produktive Ökosysteme der TU München, führen über das Gelände. Ein Team von Wissenschaftler*innen untersucht, wie autochthone, d.h. heimische Sorten in extrem nährstoffarmen Böden gedeihen und welche Biodiversitäts-gewinne sich in temporären Zwischennutzungen erzielen lassen. Liegestühle, Kräuterhänge und freilaufende Hühner ergeben eine räumliche Collage, die Forschung, Freizeit und Nachbarschaft verschränkt.
Gemüseanbau und Umweltbildung
Letzte Station: StadtAcker
Zum Abschluss führt Alicia Bilang durch den StadtAcker am Ackermannbogen und serviert selbstgemachte Kräuter- und Rosenlimonande.
Der Garten war lange in Planung als Nachbarschaftsgarten des dort neu entstehenden genossenschaftlichen Wohnquartiers und konnte dann nach Jahren endlich auch verwirklicht werden. Seitdem hat er sich zu einem Zentrum für Bildung für nachhaltige Entwicklung weiterentwickelt: ein weiteres Modellquartier des Projekts BioDivHubs – Biodiversität ins Quartier. Hier bewirtschaften die Beteiligten – hauptsächlich aus der Nachbarschaft – keine Einzelparzellen. Vielmehr wird die Fläche gemeinschaftlich bewirtschaftet; die Ernte wird geteilt. Umweltpädagogische Angebote zu Kompostierung, Saatgutkunde und Ernährung sprechen Kinder ebenso an wie Senior*innen und alle dazwischen.
Ruth Mahla vom Netzwerk Urbane Gärten München erinnert daran, dass ehrenamtliche Strukturen ohne kommunale Regelförderung kaum tragfähig bleiben.
Geteilte Verantwortung reduziert Zugangshürden und erweitert Lerngelegenheiten, verlangt aber verlässliche öffentliche Investitionen für Bildungsarbeit.

Begeisterung und Baustellen
In der Summe zeigen die Eindrücke des Urban Garden Walks durch Milbertshofen und Schwabing West, dass Gärten wissenschaftliche, handwerkliche und alltagspraktische Wissensformen zusammenführen. Er zeigt auch: Das Engagement darf nicht auf Selbstausbeutung beruhen.
Gemeinschaftsgärten wirken als Keimzellen einer klimafitten Stadt. Gleichzeitig werden Grenzen sichtbar: von Rechtsunsicherheiten bei Zwischennutzungen, bis zum Risiko, dass ehrenamtliche Energien versiegen. Die Münchner Etappe der Reihe „Die Stadt als Labor“ macht deutlich, wie produktiv der Dialog zwischen Universität und Do-it-yourself-Kulturen sein kann. Gemeinschaftsgärten sind keine bloße Idylle, sondern schon längst Lernorte, in denen Nachhaltigkeits- und Transformationswissen greifbar werden. Wer urbane Transformation, Nachbarschaftskulturen und Klimaresilienz erforschen will, sollte Gießkanne und Spaten in den Werkzeugkasten urbaner Feldforschung einpacken – und zugleich Strukturen unterstützen, die diese Lernorte dauerhaft tragen.

Fotos: Thorsten Phillipp, Robert Jende, Ruth Mahla